Adipositas als Behinderung: Voraussetzungen, Anerkennung und Folgen

Wann Adipositas als Behinderung gilt – und was das für Betroffene rechtlich bedeutet

Eine stark übergewichtige Frau sitzt erschöpft im Fitnessstudio mit Handtuch und Wasserflasche – das Bild verdeutlicht die körperlichen Herausforderungen, mit denen Menschen bei einer Adipositas Behinderung im Alltag und beim Sport konfrontiert sein können.

Adipositas ist mehr als nur Übergewicht – insbesondere bei einem hohen Schweregrad kann sie mit erheblichen körperlichen, psychischen und sozialen Einschränkungen einhergehen. Viele Betroffene fragen sich daher zurecht: Gilt Adipositas als Behinderung? Und wenn ja – ab wann? In diesem Artikel klären wir medizinische Hintergründe, rechtliche Grundlagen und geben Orientierung im Umgang mit dem Thema.

Letzte Änderung
07.08.2025
Lesezeit
5
Minuten

Ist Adipositas eine Behinderung?

Medizinisch wird Adipositas ab einem BMI von 30 kg/m² in 3 Grade eingestuft:

  • Grad 1: BMI 30-34,9
  • Grad 2: BMI 35-39,9
  • Grad 3 (Adipositas permagna): BMI ≥ 40

Mit zunehmendem Grad steigt die Wahrscheinlichkeit für Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Gelenkprobleme.

Besonders bei Grad 3 kommt es oft zu Alltagsbeeinträchtigungen, etwa beim Gehen, Treppensteigen oder Arbeiten.

Was ist eine Behinderung?

Laut SGB IX liegt eine Behinderung vor, wenn Menschen„körperlich, geistig, seelisch oder in ihren Sinnesfunktionen über einen längeren Zeitraum so beeinträchtigt sind, dass sie in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt sind.“

Nicht die Diagnose zählt, sondern die Auswirkungen auf das tägliche Leben, z. B.:

  • eingeschränkte Mobilität
  • verringerte Arbeitsfähigkeit
  • soziale Isolation

Grad der Behinderung (GdB):

  • GdB 20-40: Keine Schwerbehinderung
  • GdB 30 oder 40: Gleichstellung mit Schwerbehinderten möglich (z. B. zum Erhalt des Arbeitsplatzes)
  • GdB ab 50: Offizielle Schwerbehinderung mit umfassendem Nachteilsausgleich.

GdB bei Adipositas: Voraussetzungen, Einstufung und Folgen

Adipositas allein reicht für einen GdB meist nicht aus. Entscheidend sind die Auswirkungen im Alltag – vor allem durch zusätzliche Begleiterkrankungen.

Diese Begleiterkrankungen beeinflussen die Bewertung

Begleiterkrankungen sind zentrale Faktoren für die GdB-Bewertung. Adipositas allein – selbst mit hohem BMI – reicht nicht aus.

Relevante Erkrankungen sind z. B.:

  • Typ-2-Diabetes
  • Bluthochdruck (Hypertonie)
  • Arthrose oder andere orthopädische Beschwerden an Knie, Hüfte oder Wirbelsäule
  • Schlafapnoe-Syndrom
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Essstörungen oder Angststörungen

GdB-Einstufung abhängig von Begleiterkrankungen

Die Feststellung erfolgt individuell durch das Versorgungsamt:

  • Grad 1 oder 2 ohne Begleiterkrankungen: meist kein GdB
  • Grad 2 mit Begleiterkrankungen oder Grad 3: häufig GdB 30-50
  • Adipositas Grad 3 + Folgeerkrankungen: GdB ab 50 möglich

Wichtig: Die Bewertung erfolgt nicht nach Gewicht, sondern nach den tatsächlichen Einschränkungen im Alltag.

Was bringt ein anerkannter GdB bei Adipositas?

Ein anerkannter GdB – insbesondere ab 50 – kann für Betroffene mit Adipositas spürbare Vorteile bringen. Sowohl im Alltag als auch im Berufsleben lassen sich wichtige Schutzrechte und Entlastungen nutzen – z. B. auch im Zusammenhang mit medizinischer Unterstützung bei der Gewichtsreduktion.

Voraussetzungen für die Anerkennung eines GdB bei Adipositas

Die Erfolgsaussichten sind gut, wenn

  • Alltagsfunktionen deutlich eingeschränkt sind (z. B. Gehen, Arbeiten, Selbstversorgung).
  • Begleiterkrankungen wie Diabetes, Arthrose oder Schlafapnoe ärztlich nachgewiesen sind.
  • mehrere Beschwerden gleichzeitig vorliegen (Multimorbidität).
  • eine psychische Belastung oder Depression hinzukommt.

Mögliche rechtliche und praktische Folgen eines anerkannten GdB

Ein anerkannter GdB bringt – je nach Höhe – rechtliche und praktische Vorteile mit sich, darunter:

  • Steuerliche Erleichterungen, z. B. Behinderten-Pauschbetrag
  • Zusätzlicher Urlaub (bei GdB ≥ 50)
  • Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis
  • Zugang zu Reha-Maßnahmen, Hilfsmitteln und ggf. Wohnraumanpassungen
  • Nachteilsausgleiche im Alltag (z. B. Parken, ÖPNV, Pflege)
  • Unterstützung durch Integrationsämter
  • Gleichstellung ab GdB 30, z. B. bei drohendem Arbeitsplatzverlust
  • Bessere Chancen bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst

Wie beantragt man eine Anerkennung?

Der Antrag erfolgt schriftlich oder online beim Versorgungsamt.

Benötigt werden:

  • aktuelle ärztliche Gutachten
  • Diagnosen von Begleiterkrankungen
  • Reha- oder Klinikberichte
  • eigene Schilderung der Einschränkungen

Widerspruch & Klage – was tun bei Ablehnung?

Wird Dein Antrag abgelehnt oder der GdB zu niedrig angesetzt, kannst Du

  • innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen.
  • ggf. neue Befunde oder Berichte einreichen.
  • bei erneuter Ablehnung Klage beim Sozialgericht einreichen.

Wann wird bei Adipositas ein Behindertenausweis ausgestellt?

Ein anerkannter GdB kann zum Behindertenausweis mit Merkzeichen führen – z. B. Merkzeichen „G“ für erhebliche Gehbehinderung.

Das gilt bei Adipositas, wenn

  • das Gehvermögen durch Übergewicht stark eingeschränkt ist.
  • zusätzlich Gelenk- oder Wirbelsäulenprobleme vorliegen.
  • mehrere Beschwerden gleichzeitig auftreten.

Es handelt sich um eine individuelle Einzelfallentscheidung.

Adipositas selbst ist in der Versorgungsmedizin-Verordnung nicht als eigenständiger Tatbestand für ein Merkzeichen aufgeführt. Deshalb wird von Fall zu Fall entschieden – auf Grundlage medizinischer Gutachten und unter Berücksichtigung der funktionellen Einschränkungen.

Hinweis: Der Behindertenausweis muss separat beantragt werden, meist im Zuge des GdB-Verfahrens. Achte darauf, dass im Antrag auch Mobilitätseinschränkungen benannt und belegt sind.

Zusammenfassung

Häufige Fragen

Adipositas gilt dann als Behinderung, wenn sie zu dauerhaften funktionellen Einschränkungen führt – etwa bei eingeschränkter Mobilität, Belastbarkeit oder psychischer Gesundheit. Entscheidend ist nicht das Gewicht allein, sondern ob die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist. Dies wird individuell geprüft.

Nein. Adipositas allein begründet keinen Anspruch auf einen GdB. Erst wenn sie gesundheitliche Folgen nach sich zieht, die das tägliche Leben deutlich beeinträchtigen, kann eine Anerkennung erfolgen.

Ein hoher BMI – etwa über 40 – ist ein medizinischer Hinweis, aber keine rechtliche Voraussetzung für eine Anerkennung. Maßgeblich sind die individuellen Auswirkungen, wie Gehbehinderung, Begleiterkrankungen oder psychische Belastungen.

Ein GdB kann anerkannt werden, wenn Adipositas mit Folge- oder Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Arthrose oder Schlafapnoe auftritt – und dadurch Alltagsfunktionen dauerhaft eingeschränkt sind. Die Bewertung erfolgt stets im Einzelfall.

Ja. Begleiterkrankungen sind zentral für die GdB-Feststellung. Je nach Art und Schwere können sie den Gesamt-GdB deutlich erhöhen – insbesondere wenn sie in Kombination mit Adipositas die körperliche oder psychische Belastbarkeit einschränken.

Das Versorgungsamt prüft bei Adipositas vor allem, wie stark die Erkrankung den Alltag beeinträchtigt. Entscheidend sind:

  • funktionelle Einschränkungen (z. B. Gehfähigkeit, Belastbarkeit, Selbstversorgung)
  • Folge- und Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Arthrose oder Depression
  • Auswirkungen auf die Mobilität (z. B. eingeschränktes Gehen oder Treppensteigen)
  • Teilhabebeeinträchtigung, also ob Arbeit, soziale Kontakte oder Eigenständigkeit betroffen sind

Nicht der BMI allein ist ausschlaggebend – sondern das individuelle Ausmaß der Einschränkungen im Lebensalltag.

  1. Bundesministerium der Justiz. (o. D.). Verordnung über das Verfahren zur Durchführung der Versorgung mit Hilfsmitteln und zur Beteiligung der Medizinprodukteindustrie (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV). Gesetze-im-Internet. https://www.gesetze-im-internet.de/versmedv/BJNR241200008.html
  2. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). (o. D.). Informationen zur Feststellung einer Behinderung. https://www.bmas.de/DE/Themen/Menschen-mit-Behinderungen/teilhabe-anerkennung.html
  3. Bundessozialgericht. (2019). Feststellung eines höheren Grades der Behinderung – Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren – Keine Zuerkennung eines GdB wegen Adipositas per magna – Berücksichtigung von Folge- und Begleitschäden. Rechtsportal. https://www.rechtsportal.de/Rechtsprechung/Rechtsprechung/2019/BSG/Feststellung-eines-hoeheren-Grades-der-Behinderung-Grundsatzruege-im-Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren-Keine-Zuerkennung-eines-GdB-wegen-Adipositas-per-magna-Beruecksichtigung-von-Folge-und-Begleitschaeden
  4. DGB Rechtsschutz GmbH. (o. D.). Merkzeichen „G“ auch bei Adipositas. https://www.dgbrechtsschutz.de/recht/sozialrecht/schwerbehinderte/themen/beitrag/ansicht/schwerbehinderte/merkzeichen-g-auch-bei-adipositas/details/anzeige/
  5. DocCheck. (o. D.). Adipositas permagna. Flexikon. https://flexikon.doccheck.com/de/Adipositas_permagna
  6. Deutsche Adipositas-Gesellschaft. (o. D.). Definition von Adipositas. https://adipositas-gesellschaft.de/ueber-adipositas/definition-von-adipositas/
  7. Deutsche Adipositas-Gesellschaft. (o. D.). Ursachen von Adipositas. https://adipositas-gesellschaft.de/ueber-adipositas/ursachen-von-adipositas/
  8. Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), & Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). (2019). S3-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas. AWMF-Register-Nr. 050/001. https://register.awmf.org/assets/guidelines/050-001p_S3_Adipositas_Pr%C3%A4vention_Therapie_2019-01.pdf
  9. Robert Koch-Institut (RKI). (o. D.). Themenschwerpunkt Adipositas. https://www.rki.de/DE/Themen/Nichtuebertragbare-Krankheiten/Koerperliche-Gesundheit/Adipositas-und-Uebergewicht/themenschwerpunkt-adipositas.html