Binge Eating: Wenn Essen zur Belastung wird

Ursachen, Symptome und Behandlung der oft übersehenen Essstörung

Mann sitzt auf dem Sofa und isst unkontrolliert Kuchen und Gebäck als Symbol für Binge Eating

Heimlich, unkontrolliert, schambehaftet – Binge Eating ist mehr als nur übermäßiges Essen. Die Essstörung ist eine ernstzunehmende psychische Erkrankung mit Folgen für Körper und Psyche. Oft bleibt sie lange unerkannt. Je früher sie behandelt wird, desto höher sind die Chancen auf Besserung. In diesem Artikel erfährst Du, wie Binge Eating entsteht, woran man es erkennt – und welche Wege aus der Störung führen können.

Letzte Änderung
03.07.2025
Lesezeit
5
Minuten

Was ist Binge Eating?

Binge Eating, auch bekannt als Binge-Eating-Disorder (BED), beschreibt wiederholte Episoden von übermäßigem, unkontrollierbarem Essen. Die Betroffenen nehmen dabei innerhalb kurzer Zeit große Nahrungsmengen zu sich – oft ohne körperlichen Hunger – und erleben im Anschluss Gefühle wie Scham, Schuld oder Ekel. Diese Essanfälle erfolgen häufig heimlich und in einem Zustand innerer Anspannung, Leere oder emotionaler Überforderung.

Abgrenzung zu anderen Essstörungen:

  • Bulimie (Ess-Brech-Sucht): Essanfälle mit anschließendem kompensatorischem Verhalten (z. B. Erbrechen oder exzessivem Sport).
  • Emotionales Essen: Essen als Reaktion auf Gefühle wie Stress, Langeweile oder Traurigkeit – meist ohne den Kontrollverlust oder die Regelmäßigkeit der Binge-Eating-Störung.

Binge-Eating-Störung erkennen: Symptome & Anzeichen

Typisch für die Binge-Eating-Störung sind regelmäßige Essanfälle mit Kontrollverlust – begleitet von seelischer Belastung. Zu den häufigsten Symptomen zählen:

  • Wiederkehrende Essanfälle, mindestens einmal pro Woche
  • Hastiges Essen bis zum unangenehmen Völlegefühl
  • Essen ohne körperlichen Hunger oder wenn man bereits satt ist
  • Heimliches Essen aus Scham
  • Negative Gefühle wie Ekel, Schuld oder Traurigkeit nach dem Essen
  • Sozialer Rückzug aus Angst vor Kontrolle oder Kommentaren

Ursachen von Binge Eating: Psyche, Gene & Gesellschaft

Die Ursachen der Binge-Eating-Störung sind komplex und oft miteinander verknüpft:

Psychologische Auslöser:

  • Geringes Selbstwertgefühl
  • Frühere emotionale Verletzungen oder unverarbeitete Traumata
  • Perfektionismus oder Selbstabwertung
  • Depressionen, Angststörungen oder chronischer Stress

Biologische & genetische Faktoren:

  • Familiäre Vorbelastung
  • Ungleichgewicht im Belohnungssystem (z. B. Serotonin-Dysregulation)
  • Hormonschwankungen

Gesellschaftlicher Druck:

  • Schlankheitsideale in Medien und Werbung
  • Früh begonnene Diäterfahrungen
  • Stigmatisierung von Gewicht
  • Unzufriedenheit mit der Körperform

Folgen der Binge-Eating-Störung

Binge Eating wirkt sich auf Körper, Psyche und Alltag aus – mit teils gravierenden Folgen.

Körperliche Folgen

  • Gewichtszunahme, oft mit Entwicklung einer Adipositas
  • Erhöhtes Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes
  • Herz-Kreislauf-Probleme, z. B. Bluthochdruck oder erhöhte Blutfettwerte
  • Magen-Darm-Beschwerden durch wiederholte Überlastung des Verdauungstrakts

In manchen Fällen kann eine medizinisch begleitete Gewichtsreduktion sinnvoll sein – etwa im Rahmen eines strukturierten Programms zum gesund Abnehmen.

Psychosoziale Folgen

  • Isolation und Rückzug aus dem sozialen Leben
  • Schamgefühle, Selbsthass, depressive Verstimmungen
  • Leistungsabfall im Beruf oder in der Schule

Diagnose der Binge-Eating-Störung

Die Diagnose erfolgt durch Fachärzt:innen oder Psychotherapeut:innen mithilfe eines klinischen Anamnesegesprächs, standardisierter Fragebögen und ggf. Gespräche mit Angehörigen.

Laut ICD-111 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) und DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen) gelten folgende Kriterien als entscheidend für eine Binge-Eating-Diagnose:

  • Wiederholte Essanfälle (mind. 1x wöchentlich über drei Monate)
  • Mindestens 3 der folgenden Merkmale:
    • Sehr schnelles Essen
    • Essen bis zum unangenehmen Völlegefühl
    • Essen großer Mengen ohne körperlichen Hunger
    • Allein essen aus Scham
    • Ekel, Schuldgefühle oder Traurigkeit nach dem Essen
  • Ausgeprägter Leidensdruck
  • Keine kompensatorischen Maßnahmen wie Erbrechen oder exzessiver Sport (Abgrenzung zur Bulimie)
Abgrenzung zu gelegentlichem Überessen

Gelegentliches Überessen (z. B. bei Feiern) kann äußerlich ähnlich wirken, unterscheidet sich aber deutlich: Es fehlt der Kontrollverlust, die Regelmäßigkeit und der emotionale Leidensdruck. Binge Eating ist eine anerkannte psychische Erkrankung, die professionell behandelt werden sollte.

Hilfe bei Essanfällen: Behandlung der Binge-Eating-Störung

Eine Behandlung ist möglich und kann die Lebensqualität deutlich verbessern – besonders bei frühzeitiger Intervention.

Psychotherapeutische Ansätze

Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gilt als wirksamste Methode. Ziel ist es, Essauslöser zu erkennen, negative Denkmuster zu durchbrechen und das Essverhalten zu stabilisieren.

Weitere Ansätze:

  • Interpersonelle Therapie (IPT): Bearbeitung zwischenmenschlicher Belastungen
  • Achtsamkeitsbasierte Verfahren (z. B. MBSR): Förderung der Emotionsregulation und Körperwahrnehmung

Medizinische und medikamentöse Unterstützung

In manchen Fällen kann eine medikamentöse Begleitbehandlung sinnvoll sein – insbesondere bei:

  • Begleitenden Depressionen oder Angststörungen
  • Starker Impulsivität
  • Fehlgeschlagenen Therapieversuchen

Medikamente sind kein Ersatz für Therapie, sondern können diese sinnvoll ergänzen.

Selbsthilfe-Strategien und Alltagsbewältigung

Neben professioneller Hilfe können auch Selbsthilfe-Tools den Alltag erleichtern:

  • Ess- und Emotionstagebücher
  • Trigger-Analysen und Handlungsalternativen
  • Achtsamkeitsübungen, Yoga oder Bewegung
  • Austausch in Selbsthilfegruppen
  • Digitale Apps (Gesundheitsanwendungen)

Ziel ist ein langfristig stabiler, stressfreier Umgang mit Essen – ohne Schuld und Scham.

Binge Eating verhindern: Prävention & Aufklärung

Prävention beginnt oft schon im Kindes- und Jugendalter. Ein positives Körperbild, emotionale Kompetenz und ein entspannter Umgang mit Nahrung können das Risiko senken.

Wichtige Präventionsmaßnahmen:

  • Keine stigmatisierenden Aussagen über Figur oder Gewicht
  • Verzicht auf einschränkenden Diäten ohne medizinische Notwendigkeit
  • Förderung eines ausgewogenen, intuitiven Essverhaltens
  • Frühe Gespräche bei auffälligem Essverhalten
Psychische Erkrankung, keine Charakterschwäche

Binge Eating ist keine Willensschwäche, sondern eine behandelbare psychische Erkrankung. Hilfe zu suchen ist kein Versagen – sondern ein mutiger und wichtiger Schritt. Erste Anlaufstellen sind Hausärzt:innen oder Psychotherapeut:innen. Es gibt auch spezialisierte Beratungsstellen, eine Liste findest Du in der Datenbank des Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG).

Zusammenfassung

Häufige Fragen

Binge Eating ist eine psychische Essstörung, bei der es wiederholt zu unkontrollierten Essanfällen kommt. Betroffene nehmen große Nahrungsmengen in kurzer Zeit zu sich – meist ohne Hunger – und leiden anschließend unter Schuld- oder Schamgefühlen.

Zu den häufigsten Anzeichen gehören regelmäßige Essanfälle mit Kontrollverlust, hastiges oder heimliches Essen, Essen bis zum Völlegefühl sowie starke negative Emotionen nach dem Essen.

Die Ursachen sind vielschichtig. Eine Rolle spielen genetische Veranlagung, frühere Diäten, geringes Selbstwertgefühl, psychische Erkrankungen wie Depressionen sowie emotionale Belastungen wie Stress, Einsamkeit oder Langeweile.

Als wirksamste Methode gilt die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Auch interpersonelle Therapieansätze (IPT) oder achtsamkeitsbasierte Verfahren können helfen. Ziel ist es, das Essverhalten zu stabilisieren und emotionale Auslöser gezielt zu bearbeiten.

Hilfreich ist es, innezuhalten, aufkommende Gefühle bewusst wahrzunehmen und alternative Bewältigungsstrategien zu nutzen – etwa einen Spaziergang, eine Atemübung oder ein Gespräch mit einer vertrauten Person. Auch ein Essprotokoll kann unterstützen.

Eine eigenständige Bewältigung ist möglich, aber selten nachhaltig. Da Binge Eating tief verankert ist, profitieren die meisten Betroffenen von professioneller Hilfe – insbesondere durch Psychotherapie.

  1. 1Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. (n.d.). ICD-11 – Internationale Klassifikation der Krankheiten. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/_node.html
  2. 2American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). Arlington, VA: American Psychiatric Publishing.
  3. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). (n.d.). Binge-Eating-Störung. https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/arten/binge-eating-stoerung/
  4. AOK. (n.d.). Binge-Eating-Störung: Ursachen, Folgen und Therapie. https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/binge-eating-stoerung-ursachen-folgen-und-therapie/
  5. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). (n.d.). ICD-11 – Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/_node.html
  6. Wonderlich, S. A., Gordon, K. H., Mitchell, J. E., Crosby, R. D., & Engel, S. G. (2022). Binge-eating disorder. Nature Reviews Disease Primers, 8(1), 1–21. https://www.nature.com/articles/s41572-022-00344-y
  7. Hudson, J. I., Coit, C. E., Lalonde, J. K., & Pope, H. G. Jr. (2021). Epidemiology of binge eating disorder: Prevalence, course, comorbidity, and risk factors. Current Opinion in Psychiatry, 34(6), 525–531. https://journals.lww.com/co-psychiatry/abstract/2021/11000/epidemiology_of_binge_eating_disorder__prevalence,.3.aspx
  8. Mayo Clinic. (n.d.). Binge-eating disorder: Symptoms and causes. https://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/binge-eating-disorder/symptoms-causes/syc-20353627
  9. DocCheck Flexikon. (n.d.). Binge-Eating-Störung. https://flexikon.doccheck.com/de/Binge-Eating-St%C3%B6rung